Prozessfinanzierung

Was ist Prozessfinanzierung?

Die Prozessfinanzierung stellt Klägern, Kanzleien und Unternehmen Kapital zur Verfügung, das ausschließlich mit den potentiellen Erlösen aus ihren Verfahren besichert ist. In gesellschaftlicher Hinsicht bedeutet die Prozessfinanzierung einen großen Schritt zu mehr Gleichheit vor dem Gesetz. 


Unterschiede zwischen Verbraucherfinanzierung und gewerblicher Finanzierung

  1. Zwei Kategorien: Es sind grob zwei Arten der Prozessfinanzierung zu unterscheiden: die Finanzierung für Verbraucher und die im gewerblichen Kontext.
  2. Prozessfinanzierung für Verbraucher: Der Kläger erhält Vorauszahlungen auf seine Prozesskosten, die er nur zurückzahlen muss, wenn er vor Gericht gewinnt. Hinzu kommt eine Risikogebühr, die ebenfalls nur im Erfolgsfall anfällt. Diese Vereinbarungen richten sich in erster Linie an Einzelkläger, die Schadenersatz geltend machen und selten mit der Justiz in Berührung kommen und das Verfahren in aller Regel ohne Rechtsanwalt bestreiten. Der Finanzierungsumfang fällt in aller Regel deutlich geringer aus als im gewerblichen Bereich. Typischerweise liegen die Streitwerte zwischen 2.000 – 5.000 €.
  3. Gewerbliche Prozesskostenfinanzierung: Auch hier übernimmt der Prozessfinanzierer die Kosten des Rechtsstreits und das gesamte Risiko. Im Erfolgsfall erhält er einen Anteil am eingeklagten Betrag. Die Szenarien sind vielfältig: Das Investment kommt für Klagen aller Art in Betracht, die von Unternehmen oder Einzelpersonen erhoben werden. Die Prozessfinanzierung bietet sich außerdem im Rahmen internationaler Schiedsverfahren, zur vorzeitigen Auszahlung von Gerichtsurteilen während des Rechtsmittels oder zum Ausgleich offener Forderungen von Anwaltskanzleien an. Auch Vollstreckungsverfahren werden regelmäßig unterstützt. Die gewerbliche Prozessfinanzierung richtet sich an Kläger, die bereits Erfahrung mit Gerichts- oder Schiedsverfahren gesammelt haben und rechtlich beraten werden. Das Investment des Prozessfinanzierers ist in der Regel sehr umfangreich und beträgt meist mehrere Millionen Euro.
    1. Finanzierung einer Einzelklage: Typischerweise wird Kapital für die Gebühren und Anwaltskosten eines einzelnen Gerichts- oder Schiedsverfahrens bereitgestellt. Darüber hinaus erhält der Kläger je nach Vereinbarung Betriebskapital für die Dauer des Prozesses, Mittel zur Schuldentilgung und andere Leistungen. Zurückzuzahlen sind diese Beträge nur, wenn das Verfahren gelingt. Übrigens kommt nicht allein die Finanzierung des Klägers in Betracht. Auch Beklagte können von der Prozessfinanzierung profitieren, wenn Finanzierer und Kläger zu einer entsprechenden Vereinbarung finden.
    2. Finanzierung von Portfolios: Hier stellt der Prozessfinanzierer Kapital für die Kosten mehrerer Gerichts- oder Schiedsverfahren bereit, die von einer Anwaltskanzlei oder einem Unternehmen geführt werden. Initiiert eine Kanzlei das Verfahren, erhält der Finanzierer einen Teil der Gebühren, die Mandanten der Kanzlei zahlen. Im Falle eines Unternehmensportfolios ist der Finanzierer in der Regel am Ertrag des Verfahrens beteiligt. Andere Vereinbarungen sind möglich. Die Portfoliofinanzierung steht auch in bestimmten Fällen Beklagten zur Verfügung, wobei die Rückzahlung über den Kläger abgewickelt wird.
    3. Finanzierung mehrerer Parteien: Außerhalb der USA ist auch die Finanzierung von Sammelklagen möglich (auch als Gruppenklagen oder englisch class action bekannt). Typischerweise wird die Klage einer Gruppe oder des Vertreters einer Gruppe finanziert, der ähnliche Ansprüche gegen den Beklagten zustehen. Die Beteiligung des Finanzierers eignet sich für eine Reihe von Ansprüchen, darunter Wertpapier-/Aktionärs-, Umwelt- und Produkthaftungsklagen. Die direkte Finanzierung von Sammelklagen ist insbesondere in Rechtsordnungen wie Australien und bestimmten europäischen Rechtsordnungen üblich, die Sammelklagen kennen, Anwälten aber Erfolgshonorare verbieten.

Die Vorteile der Prozessfinanzierung

  1. Eine Alternative zum Kredit: Die Beteiligung eines Prozessfinanzierers ist meist attraktiver als die Aufnahme eines Bankkredits. Ein Darlehen ist in jedem Fall samt Zinsen zurückzuzahlen – auch, wenn die Klage scheitert.

    Die Prozessfinanzierung hingegen schlägt nur zu Buche, wenn der Kläger den Prozess gewinnt. Zudem fällt keinerlei Belastung durch laufende Tilgungs- und Zinszahlungen an. Ein weiterer Vorteil: Das Investment des Finanzierers ist allein durch den Prozess abgesichert. Damit ist die persönliche Haftung für die Rückzahlung ausgeschlossen, sollte das Verfahren oder die Vollstreckung misslingen.

    Hinzu kommt, dass die Prozessfinanzierung unabhängig von steigenden Zinsen ist. Die Kreditkosten können jederzeit steigen. Die Bedingungen der Prozessfinanzierung hingegen sind fix vereinbart und richten sich allein nach Umfang, Erfolgsaussicht und Einträglichkeit des geltend gemachten Anspruchs.

    Die Prozessfinanzierung hat zudem unmittelbare bilanzielle Vorteile. Kredite erhöhen die Betriebskosten und reduzieren somit den Gewinn. Die Prozessfinanzierung hingegen vermeidet diesen Aufwand und kann je nach Umständen sogar als Ertrag verbucht werden – mit direktem Einfluss auf das Jahresergebnis des Unternehmens.
  2. Flexibilität: Viele Kläger legen Wert auf eine ausgefeilte Finanzierungsvereinbarung, die ihnen besonders große Flexibilität bietet. Da die Prozessfinanzierung rein erfolgsabhängig ist, kann sie ggf. auch für andere Zwecke als den Prozess eingesetzt werden, sofern dafür ein sinnvoller Anlass besteht. Zum Beispiel lässt sich das Investment zur Deckung der Betriebskosten während existenzgefährdender Verfahren oder zur Finanzierung weiterer Prozesse nutzen, die unvorhergesehen auftreten (nach Vereinbarung).

    Darüber hinaus versetzt die Prozessfinanzierung Kläger, Anwälte und Unternehmen in die Lage, unangemessene Vergleichsangebote auszuschlagen. Dank des starken finanziellen Rückhalts steigen die Chancen, dass aussichtsreiche Ansprüche vollständig zugesprochen und nicht aufgrund der Finanzkraft der Gegenseite zu ungünstigen Konditionen abgewickelt werden müssen.
  3. Potential für Unternehmen freisetzen: Prozessfinanzierung bietet Unternehmen neues Potential. Kunden eines Prozessfinanzierers können
    1. renommierte Anwälte konsultieren, die sie sonst aus Kostengründen nicht beauftragen würden.
    2. Prozesskosten und Rückstellungen aus den Passiva streichen und sich so den nötigen Freiraum schaffen, um Ansprüche flexibel abzuwehren oder eigene Verfahren effektivdurchzusetzen. Das freigesetzte Kapital kann für jeden Betriebszweck eingesetzt werden und so das Ergebnis des Unternehmens steigern.
    3. ihre Rechtsabteilung von einer Kostenstelle zur Einnahmequelle umwandeln.

Die “Finanzierung“ in gewerblicher Prozessfinanzierung

  1. Rein erfolgsbasiert. Prozessfinanzierer gehen ins volle Risiko. Erhält der Kläger keinerlei Erlöse durch Vergleich, Urteil oder Schiedsspruch, ist er von jeder Rückzahlung an den Finanzierer befreit (sofern im Vorhinein keine andere Vereinbarung getroffen wurde). Einfach ausgedrückt: Verliert der Kläger, erhält der Geldgeber nichts, nicht einmal das investierte Kapital.
  2. Kein Darlehen. Da die gewerbliche Prozessfinanzierung rein erfolgsabhängig ist, handelt es sich nicht um ein Darlehen. Es besteht keine pauschale Verpflichtung zur Rückzahlung des Kapitals, Nutzer müssen keine Rendite garantieren und die einzige Sicherheit für den Barvorschuss ist der Erlös aus dem Rechtsstreit (falls vorhanden). Folgerichtig fassen auch die deutschen Gerichte die Prozessfinanzierung nicht als Darlehen auf. Vielmehr charakterisiert man sie überwiegend als eine Form der stillen Gesellschaft.
  3. Typische Rückzahlungsbedingungen. Finanzierungsvereinbarungen sind maßgeschneidert. Die vertraglich vereinbarte Erfolgsbeteiligung des Geldgebers hängt von zahlreichen Faktoren ab, darunter die Erfolgsaussicht der Klage, der Anteil des Risikokapitals am Verfahren und die Realisierbarkeit der Forderung.
  4. Verteilung des Risikos. Welchen Risikoanteil der Finanzierer übernimmt, bemisst sich nach einer Reihe von Aspekten. Maßgeblich ist etwa, inwieweit der Kläger die Prozesskosten anteilig oder vollständig selbst tragen kann, ob die Rechtsanwälte mit einem (hybriden) Erfolgshonorar einverstanden sind (sofern zulässig) oder sich auf einen Teil ihres Honorars beschränken. Kanzleien, die stundenbasiert abrechnen, scheuen meist die Risikobeteiligung auf Klägerseite. Daher sind eininge Prozessfinanzierer bereit, unter bestimmten Umständen auf eine Risikobeteiligung der Kanzlei zu verzichten – d.h. die vollen Stundensätze und alle Prozesskosten zu zahlen – und im Gegenzug einen größeren Anteil an den Prozesserlösen zu erhalten, wenn der Fall erfolgreich ist. In Gerichtsbarkeiten, die keine Erfolgshonorare zulassen, ist die volle Übernahme der Anwaltskosten durch den Prozessfinanzierer oft ohnehin nötig.

Was Sie nach einer Finanzierungsanfrage erwartet

  1. Verschwiegenheitsverpflichtung. Der Finanzierungsprozess beginnt stets damit, dass die Parteien eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterzeichnen (auch als Vertraulichkeitsvereinbarung bekannt). Diese Vereinbarung ist essentielle Grundlage für den Schutz der Vertraulichkeit und ermöglicht den freien Informationsfluss zwischen dem Kläger, den Anwälten und dem Finanzierer. Sie erlaubt es dem Finanzierer, die Erfolgschancen des Rechtsstreits umfassend zu beurteilen.
  2. Erste Fall- oder Portfolioanalyse. Nach Einholung der ersten Informationen und Unterlagen vom Kläger und/oder den Anwälten im Rahmen der Vertraulichkeitsvereinbarung führt der Finanzierer in der Regel eine erste Analyse des Falles durch. Auf diesem Weg wird primär eingeschätzt, ob die Angelegenheit den Kriterien des Geldgebers entspricht. Die Analyse beinhaltet zudem eine umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten des Falls. Die Art der anfänglichen Fallanalyse variiert u.a. je nach Finanzierer, Komplexität der Angelegenheit, Umfang der Investition und den Auffassungen über die Risikoteilung zwischen den Parteien.
  3. Term Sheet. Sind die Parteien grundsätzlich an der Finanzierung interessiert, schlägt der Geldgeber üblicherweise ein Term Sheet vor, in dem die voraussichtlichen Konditionen der Finanzierung dargelegt werden. Auch hier variiert der Inhalt des Term Sheets (und dessen Zeitpunkt im Prozess) je nach Finanzierer und Region. Einige Geldgeber bieten grundsätzlich unverbindliche Term Sheets an, die lediglich während der Due-Diligence-Phase exklusive Verhandlungen nur mit ihrem Unternehmen voraussetzen. Andere verlangen diese Exklusivität nicht, sehen aber Break-up Fees vor, falls kein Vertrag zustande kommt. Es gibt sicherlich noch viele weitere Varianten.
  4. Due dilligence. Alle seriösen Geldgeber führen eine umfassende Prüfung der Investition durch. Diese besteht aus einer eingehenden Bewertung der Erfolgsaussichten der Ansprüche, des potenziellen Erlöses, der Chancen auf erfolgreiche Beilegung und Eintreibung sowie der Höhe des notwendigen Kapitals. Dazu gehört auch eine Analyse des Hintergrunds und der finanziellen Lage des Klägers sowie der Expertise der Anwälte, die den Fall bearbeiten, einschließlich ihrer Erfolgsbilanz bei der Bearbeitung ähnlicher Fälle. Auch hier ist der Prozess je nach Geldgeber etwas unterschiedlich. Auch die regionalen Praktiken können sich unterscheiden. Einige Finanzierer setzen interne Teams ein, die aus führenden Anwälten oder ehemaligen Anwälten mit langjähriger Erfahrung bei renommierten Kanzleien bestehen. Häufig ziehen diese Anbieter auch externe Anwälte und Wirtschaftsberater hinzu, um eine zweite Meinung über die Erfolgschancen zu erhalten. Andere Geldgeber verlassen sich ausschließlich auf externe Rechtsberater und andere Experten.
  5. Investitionsentscheidung und Finanzierungsvereinbarung. Der Prüfungszeitraum variiert so stark zwischen den Geldgebern und je nach Art der Investition, dass die durchschnittliche Dauer bis zu einer Investitionsentscheidung nicht zuverlässig angegeben werden kann. Es lässt sich aber mit Sicherheit sagen, dass der Prozess typischerweise Wochen dauert, nicht Tage. Bei vielen Prozessfinanzierern entscheidet ein Investitionskomitee oder ein anderes Gremium, ob in das Verfahren investiert wird. Grundlage der Entscheidung ist meist eine schriftliche und/oder mündliche Präsentation durch das Team, das die Investition vorschlägt und die Due-Dilligence-Prüfung durchgeführt hat. Ziel dieser Prüfung ist es, die Investition zur Entscheidung vorzulegen, wenn die Erfolgsaussichten und andere Überlegungen die Empfehlung unterstützen. Ist dies nicht der Fall, informiert der Finanzierer den Antragsteller, dass der Fall dem Entscheidungsgremium nicht empfohlen wird. Der Antragsteller kann anschließend andere Optionen prüfen. Während der Due-Diligence-Phase legt der Geldgeber dem Kläger und dessen Anwälten oft bereits die Finanzierungsvereinbarung zur Prüfung vor, sodass nach einer positiven Investitionsentscheidung sofort losgelegt werden kann. Die Finanzierungsvereinbarung ist ein verbindlicher Vertrag, der die Bedingungen der Investition im Detail festlegt.
  6. Begleitung des Prozesses. Auch die Einbindung in das Verfahren nach der Investition variiert je nach Geldgeber, Investition und Region. Typischerweise verfolgen Prozessfinanzierer aber einen zurückhaltenden Ansatz beim Fallmanagement. Ihnen ist es nicht gestattet, die strategischen Entscheidungen der Anwälte zu kontrollieren. Ohnehin gewährt ihnen die Finanzierungsvereinbarung in dieser Hinsicht nur begrenzte Rechte. Üblich ist zumindest ein Anspruch auf Information insbesondere über Vergleichsangebote und wichtige Entwicklungen des Falls. Daher setzen sich die Geldgeber meist regelmäßig mit den Anwälten und dem Kläger in Verbindung. In manchen Verfahren wird zudem stetiger schriftlicher Bericht über wesentliche Entwicklungen verlangt. Da die Experten des Prozessfinanzierers mit dem Sachverhalt ebenfalls vertraut sind, bitten die Anwälte und der Kläger oft um unverbindlichen Rat zur Strategie und zu anderen wichtigen Fragen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die betreuenden Finanzierungsexperten selbst Anwälte sind oder waren. Mitarbeiter des Geldgebers können zudem an Mediationen und Vergleichsverhandlungen teilnehmen – nicht etwa, weil sie deren Ausgang kontrollieren; in einigen Gerichtsbarkeiten können sie aber den Kläger darüber beraten, wie sich das jeweilige Vergleichsszenario auf die Finanzierungsvereinbarung auswirkt und dem Vermittler oder Mediator sachdienliche Informationen zur Verfügung stellen. Geldgeber können auch an wichtigen Anhörungen und Gerichtsverhandlungen als Beobachter teilnehmen, sofern ihre Anwesenheit nicht die Vertraulichkeit beeinträchtigt (soweit das Verfahren diese denn gewährt).

Die Entwicklung der Prozessfinanzierung weltweit

Die Finanzierung eines Rechtsstreits durch Dritte ist kein neues Konzept und geht auf das Mittelalter zurück. Korrupte Adlige setzten damals Untertanen als Prozessbevollmächtigte ein, um ihren Besitzstand zu vergrößern.i Um diesen Rechtsmissbrauch einzudämmen, wurden in England die "doctrines of maintenance and champerty" erlassen. Auch in anderen Common-Law-Ländern verbreiteten sich diese Grundsätze, um Dritten die Unterstützung von Prozessparteien zu verbieten. "Maintenance" bezieht sich auf die finanzielle Unterstützung eines Dritten, um einen Rechtsstreit aufrechtzuerhalten. "Champerty" meint, dass der Dritte eine Gegenleistung für seine finanzielle Unterstützung verlangt, üblicherweise in Form eines Teils des Erlöses aus dem Rechtsstreit.

Zwischenzeitlich ließen die korrupten Handlungen, für die diese Doktrinen erlassen wurden, nach und "Maintenance" und "Champerty" spielten nur noch in juristischen Lehrbüchern eine Rolle. Dennoch mussten in zahlreichen Ländern erst diese Doktrin abgeschafft werden, um den Weg für die Prozessfinanzierung freizumachen und somit den Zugang zur Justiz zu erleichtern.

Australien

Der Keim der modernen Prozessfinanzierung entstand in Australien, wo ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren ihr Wachstum förderte.

Seit 1995 ist es Insolvenzverwaltern erlaubt, mithilfe ihrer gesetzlichen Verkaufsbefugnis die Erlöse eines Prozesses zu veräußern, wenn der zugrunde liegende Anspruch als "Unternehmenseigentum" charakterisiert werden kann. Dies ermöglichte Vermögens- und Insolvenzverwaltern, Verträge zur Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten abzuschließen, wodurch die Ansprüche als Vermögen des Unternehmens anerkannt wurden. In der Folge entstanden Prozessfinanzierer, die insolventen Unternehmen bei der Finanzierung der Rechtskosten im Austausch gegen einen Teil der Erlöse halfen.

Zu diesem Zeitpunkt war die Prozessfinanzierung ausdrücklich nur im Kontext einer Insolvenz zulässig. Unternehmen, die Streitigkeiten außerhalb dessen finanzierten, liefen Gefahr, dass ihre Finanzierungsverträge als sittenwidrig und damit als rechtswidrig angesehen wurden.

Dennoch wuchs der Druck, die Prozessfinanzierung auch in anderen Verfahren, wie z. B. Sammelklagen, zuzulassen. Angesichts des australischen Verbots von Erfolgshonoraren und der vollen Kostentragungspflicht der unterlegenen Partei (auch für die Kosten der Gegenseite) war es äußerst riskant, die Rolle des verfahrensführenden Klägers einer Sammelklage zu übernehmen. Im Falle des Scheiterns drohten erhebliche finanzielle Belastungen.

Erst im Jahr 2006 ebnete ein Grundsatzurteil des High Court of Australia (des höchsten australischen Gerichts) den Weg für die Finanzierung von Einzelverfahren und Sammelklagen. In der Entscheidung Campbells Cash and Carry Pty Ltd vs. Fostif Pty Ltd (2006) 229 CLR 386 stellte das High Court fest, dass bereits ausreichende Sicherheitsvorkehrungen vorhanden seien, um Missbrauch durch den Prozessfinanzierer auszuschließen. Auch stehe die Finanzierung durch Dritte dem geltenden Recht nicht entgegen, sondern fördere dieses vielmehr, da sie den Zugang zur Justiz erleichtere.

Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung waren die "doctrines of maintenance and champerty" in vielen australischen Gerichtsbarkeiten als Straftaten und Delikte abgeschafft. ii Als die rechtlichen Hürden für die Prozessfinanzierung in Australien fielen, begann die Geburt einer Branche, die sich über den ganzen Globus ausbreiten sollte.

Europe

Common Law Länder – England und Wales

Einst wurden im Vereinigten Königreich die Common-Law-Doktrinen "Maintenance" und "Champerty" eingeführt, um skrupellosen Praktiken von Adligen im Mittelalter Einhalt zu gebieten. 1967 schaffte der Criminal Law Act die daraus resultierenden Verbote der Drittmittelfinanzierung ab. Das Gesetz sah jedoch weiterhin vor, dass eine Finanzierungsvereinbarung, die gegen die öffentliche Ordnung verstieß, als rechtswidrig und damit nicht durchsetzbar galt.

Dennoch öffnete das Gesetz die Tür für alternative Vergütungsmodelle. Zuvor mussten die Kläger ihr Verfahren entweder selbst finanzieren, eine Versicherung hinzuziehen oder Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen. Mit der Verabschiedung der neuen Gesetzgebung durch den Courts and Legal Services Act von 1990 (CLSA)iii konnten Kläger schließlich die finanzielle Belastung einer Klage durch bedingte Honorarvereinbarungen (Conditional Fee Agreements, CFAs), auch bekannt als "no win no fee"-Vereinbarungen, abmildern. Mehr als ein Jahrzehnt später, im Jahr 2013, wurde eine weiteres erfolgsabhängiges Vergütungsmodell (Damages Based Agreements, DBAs) eingeführt, um Klägern den Zugang zum Recht zu erleichtern.

Im Wesentlichen gestattet ein CFA einem Rechtsvertreter nur dann dessen Gebühren und Auslagen zzgl. eines Aufschlags, wenn das Verfahren erfolgreich ist. Das DBA hingegen ist ein Erfolgshonorar, das dem Vertreter einen vereinbarten Prozentsatz des Prozesserlöses zuspricht, wenn er das Verfahren gewinnt. Das dem DBA zugrundeliegende Gesetz definiert einen Vertreter als die Person, die Rechtsberatung, Prozessführung oder Managementleistungen übernimmt, auf die sich das DBA bezieht.

Während dieser Zeit suchten England und Wales aktiv nach Wegen, um ihren Bürgern den Zugang zur Justiz zu erleichtern. Es dauerte jedoch bis zur Entscheidung in Arkin v Borchard Lines Ltd [2005] EWCA 655, die den Aufstieg der Prozessfinanzierungsbranche beflügelte. Die Entscheidung im Fall Arkin war insofern bemerkenswert, als sie zum sogenannten "Arkin Cap" führte: Fortan mussten Prozessfinanzierer für die gegnerischen Kosten maximal bis zu dem Betrag aufkommen, den sie ursprünglich in das Verfahren investiert hatten. Da die Finanzierer aufgrund dieser Obergrenze ihr finanzielles Verlustrisiko besser einschätzen konnten, wurden immer mehr Finanzierungsgesellschaften gegründet.

Die kürzlich ergangene Entscheidung in Davey v Money and others [2019] EWHC 997 änderte jedoch dieses Vertrauen in das „Arkin Cap“. Die Richter entschieden, dass die Obergrenze nach Ermessen und nicht absolut anzuwenden sei, wobei das Gericht entscheide, wie die gegnerischen Kosten angemessen zwischen Finanzierer und Kläger aufzuteilen seien. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass das Urteil die Entwicklung der Finanzierungsbranche einschränken wird, da die Anbieter sich mit einer Nachhaftungsversicherung (ATE) gegen das Prozessrisiko absichern können.

Mit der Erlaubnis von alternativen Vergütungsmodellen und der Finanzierung durch Dritte in England und Wales sowie der Verbreitung von Prozessfinanzierern kamen Fragen zur Regulierung der Branche auf. Im Jahr 2009 wurde unter der Leitung von Lord Justice Rupert Jackson ein Regierungsbericht über Prozesskosten, einschließlich einer Überprüfung der Prozessfinanzierung durch Dritte, erstellt. Der 2010 veröffentlichte Abschlussbericht führte zu bedeutenden Änderungen der Kostenverfahren in England und Wales, bekannt als die Jackson-Reformen. Lord Justice Jackson unterstützte das Konzept der Prozessfinanzierung und empfahl einen freiwilligen Verhaltenskodex, um die Finanzierungsaktivitäten zu beaufsichtigen. In der Folge wurde später im Jahr 2011 die Association of Litigation Funders (ALF) of England and Wales, ein selbstreguliertes Gremium, gegründet. 

Länder mit kodifiziertem Recht

In europäischen Ländern mit kodifiziertem Rechtssystem war die Prozessfinanzierung keinen Hindernissen ausgesetzt, wie sie die "doctrines of maintenance and champerty" des Common Laws darstellten.

Deutschland

Die Prozessfinanzierung in Deutschland begann 1999. Sie eröffnete Klägern einen Weg zum Recht, die sonst nicht in der Lage gewesen wären, ihren Fall zu finanzieren. Prozessfinanzierer schlossen die Lücke zwischen Kreditangeboten der Banken einerseits (die in der Regel verweigert werden, wenn der Kläger keine angemessenen Sicherheiten stellt) und dem Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare andererseits. Die Anbieter investieren meist ohne Sicherheiten in das Verfahren und fallen nicht unter das Verbot der Erfolgshonorare. Daher ist es ihnen möglich, Verfahren rein erfolgsbasiert und gegen einen Anteil am Erlös zu finanzieren.

Die Drittmittelfinanzierung ist in Deutschland nicht reguliert und es gibt keine Beschränkungen für den Eintritt in den kommerziellen Finanzierungsmarkt. Die Prozessfinanzierung an sich ist nie rechtlich angegriffen worden. Die Finanzierungsvereinbarung unterliegt vielmehr dem Vertragsrecht und ist laut vereinzelten Gerichtsentscheidungen als eine Innengesellschaft gemäß BGB deklariert worden. Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht Köln kürzlich bestätigt, dass Rechtsanwälte ihre Mandanten über Prozessfinanzierung beraten sollten (Az.: 5 U 33/18 [11. November 2018]).

Nach den jüngsten Veröffentlichungen über die Finanzierung von Verbraucherverfahren hat das Bewusstsein und die Akzeptanz für die gewerbliche Prozessfinanzierung in Deutschland zugenommen. Infolgedessen wächst der Finanzierungsmarkt weiter.

Niederlande

In den Niederlanden gab es bisher keine Beschränkungen für die Prozessfinanzierung und auch keine Beschränkungen des Einflusses, den Geldgeber nehmen konnten. Da die "doctrines of maintenance and champerty" des Common Laws nie in das niederländische Zivilrecht aufgenommen wurden, unterliegen Finanzierungsvereinbarungen dem Vertragsrecht und sind im Prinzip bindend, sofern sie nicht gegen Gesetzev oder die Grundsätze der Angemessenheit und Fairness verstoßen.

Die Prozessfinanzierung in den Niederlanden wird derzeit vor allem für große Mehrparteienklagen, einschließlich Aktionärsklagen, Kartellklagen und seit Kurzem auch für Klagen wegen DSGVO-/Datenschutzverletzungen genutzt. Sie wird auch für die Finanzierung der Vollstreckung und Beitreibung von hohen Forderungen verwendet, die oft aus Exporten in Schwellenländer und grenzüberschreitenden Schiedsverfahren resultieren.

Schweiz

In der Schweiz ist die Prozessfinanzierung erlaubt, sofern die Geldgeber unabhängig vom Anwalt des Klägers handeln (BGE 131 I 223/2004). Vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung hat das Schweizerische Bundesgericht auch festgestellt, dass Anwälte ihre Mandanten über die Möglichkeit der Prozessfinanzierung informieren müssen (Urteil des Bundesgerichts 2C_814/2014). Kläger in der Schweiz profitieren insbesondere von der Finanzierung der Gelder, die sie zu Beginn des Rechtsstreits beim Gericht für die voraussichtlichen Kosten hinterlegen müssen (gemäß der Schweizer Zivilprozessordnung von 2011).

Andere Gerichtsbarkeiten mit kodifiziertem Recht

Deutschland, die Niederlande und die Schweiz sind nicht die einzigen Länder mit kodifiziertem Rechtssystem, die Prozessfinanzierung zulassen. In vielen weiteren Ländern, darunter Italien, Frankreich und Spanien, wird die Prozessfinanzierung zunehmend genutzt und populär.

USA

Das amerikanische Rechtssystem basiert auf einer vielfältigen Kombination von Prinzipien des Gewohnheitsrechts, Fallrecht, Gesetzen, Verordnungen und anderen Vorschriften. Die Entwicklung der Prozessfinanzierung in den USA blieb allerdings lange hinter einigen Common-Law-Rechtsordnungen rund um den Globus zurück. Grund dafür waren die frühe Akzeptanz und breite Anwendung von Erfolgshonoraren sowie die "American Rule" als Standard der Anwaltsvergütung, wonach die Parteien unabhängig vom Ergebnis ihre jeweiligen Prozesskosten ohnehin selbst tragen.

Da jedoch die Anwaltsgebühren und Prozesskosten fast nur noch für große Unternehmen tragbar wurden, traten der Bedarf an Prozessfinanzierung und deren Vorteile für den amerikanischen Rechtsmarkt immer offensichtlicher hervor, insbesondere in den Jahren nach der Großen Rezession. In der Folge brachten die Nachwirkungen der Finanzkrise von 2008 eine Branche zur Entstehung, die genau das bot, was Kläger, Kanzleien und Unternehmen brauchten: einen besseren Zugang zum amerikanischen Rechtssystem. Da die erfolgsbasierte Bereitstellung von Kapital den Kern der Prozessfinanzierung ausmacht, hätte die Branche in den USA zu keinem besseren Zeitpunkt populär werden können.

Prozessfinanzierer wurden in den USA nicht durchweg mit offenen Armen empfangen. Große Unternehmen, die früher mit Verzögerungstaktiken die begrenzten Budgets ihrer Gegner ausnutzen, waren nicht erfreut über die nunmehr angeglichene Ausgangslage. Kritiker der Prozessfinanzierung verwiesen auf die längst veralteten "doctrines of maintenance and champerty", um die Nutzung der Prozessfinanzierung in ein schlechtes Licht zu rücken und die aufstrebende Branche auszubremsen. Es wurden vermeintliche ethische Bedenken erhoben (ganz ähnlich denen, die im letzten Jahrhundert im Zusammenhang mit anwaltlichen Erfolgshonoraren aufkamen). Doch die Gerichte ließen sich nicht beirren und langsam aber sicher schwand das Unbehagen gegenüber der Prozessfinanzierung. Nach und nach entwickelte sich eine moderne Rechtsprechung, die die Nutzung der Prozessfinanzierung befürwortete und auf die Vorteile hinwies, die sie für den Zugang zum Recht bietet. Ohnehin haben die Amerikaner seit langem eine stärker ausgeprägte Auffassung vom gleichberechtigten Zugang zur Justiz als ihre englischen Brüder. Das Recht auf einen Rechtsbeistand in Strafprozessen ist im sechsten Zusatzartikel der US-Verfassung verankert – die Engländer haben dieses Recht erst fast 100 Jahre später übernommen.

In einer für die moderne Prozessfinanzierung bahnbrechenden Entscheidung wies das Bundesbezirksgericht in Miller UK Ltd. v. Caterpillar, Inc., 17 F. Supp. 3d 711 (N.D. Ill. 2014) beispielsweise die Auffassung zurück, dass die Verwendung von Finanzmitteln durch die "Illinois maintenance and champerty statute" verboten sei. Die Richter stellten vielmehr fest, dass das Gesetz strafrechtlicher Natur sei und daher eng ausgelegt werden müsse. Da die Finanzierungsvereinbarung, um die es in dem Verfahren ging, nicht der genannten Verbotsvorschrift entsprach, wurde sie als rechtmäßig angesehen.

Einige Staaten (z.B. Kalifornien) haben nie Gesetze im Sinne der "doctrines of maintenance and champerty" verabschiedet, die Prozessfinanzierung verbieten würden (siehe in re Cohen's Estate, 66 Cal. App. 2d 450, 458 (1944)). In der kalifornischen Entscheidung von Pac. Gas & Elec. Co. v. Bear Stearns & Co., 50 Cal. 3d 1118 (1990) stellte das Gericht fest: 

"In der Tat haben wir keine rechtlichen Vorgaben gegen die Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten durch Außenstehende. [...] Unser Rechtssystem basiert auf der Idee, dass es für Bürger besser ist, ihre Differenzen vor Gericht zu lösen, als auf Selbsthilfe oder Gewalt zurückzugreifen. Es ist dieser Grundphilosophie zuwider, die Veranlassung aussichtsreicher Gerichtsverfahren zu einer unerlaubten Handlung zu machen."

Andere Staaten, wie New York, erkannten an, dass sie zwar technisch gesehen "doctrines of maintenance and champerty" vorsahen, diese aber nicht dazu dienen sollten, die Nutzung kommerzieller Prozessfinanzierung generell zu verbieten. (Siehe z. B. Justinian Capital SPC v WestLB AG, N.Y. Branch, 28 N.Y.3d 160, 167 [N.Y. 2016]). Einfach ausgedrückt: "Die champerty statute findet keine Anwendung, wenn der Zweck einer Abtretung die Einziehung einer legitimen Forderung ist." (Trust for the Certificate Holders of the Merrill Lynch Mortgage Investors, Inc. v Love Funding Corp., 13 NY3d 190, 200, 201 [2009]). Das Gericht im "Justinian"-Fall erkannte ferner an, dass "das antike Verbot der Finanzierung ["Champerty"] mit modernen Finanztransaktionen in Einklang gebracht werden muss." (unter Berufung auf Bluebird Partners, L.P. v First Fidelity Bank, N.A., 94 NY2d 726 [2000].) Wie das Gericht in Bluebird Partners, 94 NY2d bei 739, feststellte: "Um es vorsichtig auszudrücken, könnte die Deklarierung von "Champerty" als geltendes Recht Unsicherheiten im System des freien Marktes in Verbindung mit einer unzähligen Anzahl von anspruchsvollen Geschäftstransaktionen hervorrufen - eine nicht zu unterschätzendes Potential in einem Staat, der das Finanzkapital der Welt beherbergt."

In jüngerer Zeit, am 3. Juni 2020, hat der Oberste Gerichtshof von Minnesota in Maslowski v. Prospect Funding Partners, 944 N.W. 2d 235 (Sup. Ct. Minn. 2020) das gewohnheitsrechtliche Champerty-Verbot gänzlich aufgehoben. Im Zuge einer historischen Betrachtung der jahrhundertealten Champerty-Doktrin kam das Gericht zu dem Schluss, dass das zugrundeliegende Prinzip seinen Nutzen eingebüßt habe: "Unsere Überprüfung der Veränderungen in der Anwaltschaft und in der Gesellschaft überzeugt uns, dass das alte Champerty-Verbot nicht mehr notwendig ist."

Bedenken hinsichtlich der Zugänglichkeit der Gerichte trugen ebenfalls dazu bei, die Akzeptanz der Finanzierung zu erhöhen. In der Rechtssache Hamilton Capital VII, LLC, I v. Khorrami, LLP, et al. stellte die Richterin Shirley Werner Kornreich vom New York Supreme Court fest:

"Anwaltskanzleien Zugang zu Investitionskapital zu gewähren, bei dem die Investoren effektiv auf den Erfolg der Kanzlei wetten, fördert die triftige politische Agenda, die Justiz unabhängig vom Vermögen für alle zugänglich zu machen. Moderne Gerichtsverfahren sind teuer; vermögende Rechtsbrecher können Kläger abschrecken, wenn diesen die Mittel zur Finanzierung ihres Prozesses fehlt."

Die Linie der Rechtsprechung förderte die Akzeptanz der Prozessfinanzierung als alternatives Vergütungsmodell und erleichterte den Zugang zu den Gerichten. Für Kanzleien und Unternehmen ist die Prozessfinanzierung zu einer attraktiven Wahl geworden, um den Cashflow zu verbessern, Prozessrisiken aufzuteilen und neuen sowie bestehenden Mandanten flexible Vergütungsmodelle anzubieten.

Kanada

Ähnlich wie in Rechtssystemen des Common Law standen der Prozessfinanzierung auch in Kanada zunächst die "doctrines of maintenance and champerty" im Wege. Während Kanada 1953 Schritte unternahm, um diese Doktrinen als Straftat abzuschaffen, blieben sie als zivilrechtliche Delikte in den meisten Provinzen in Kraft (jedoch nicht in Quebec, das vom kodifizierten Recht bestimmt ist). Demnach waren Erfolgshonorare bis zum bahnbrechenden Fall McIntyre Estate v. Ontario (Attorney General), 2002 CanLII 45046 verboten.

In der Rechtssache McIntyre Estate befand das Berufungsgericht von Ontario, dass eine Vereinbarung über ein Erfolgshonorar nicht per se unzulässig sei. Das Gericht begründete dies wie folgt:

"Eine Möglichkeit, die Justiz zugänglicher zu machen, besteht darin, einen flexiblen Ansatz für die Bezahlung von Rechtsdienstleistungen zu bieten, indem Erfolgshonorare zugelassen werden. Das Gewohnheitsrecht hat in Bezug auf Erfolgshonorare begonnen, sich so zu entwickeln, dass es mit den weithin akzeptierten modernen Regeln übereinstimmt, die die Vorteile der Zulassung von Erfolgshonorarvereinbarungen unter bestimmten Umständen anerkennen...."

Die Entscheidung lockerte die strikte Anwendung der Doktrin. Sie ordnete zugleich aber an, dass Schutzmaßnahmen bestehen bleiben sollten, um Kläger vor unangemessenen Honorarvereinbarungen zu bewahren. In der Folge erließ Ontario eine Verordnung, die eine Obergrenze von 50 % für Erfolgshonorare festlegte und Anwälten nur mit Genehmigung des Gerichts die Möglichkeit ließ, einen höheren Prozentsatz zu erzielen.

Prozessfinanzierer argumentierten auf Grundlage des Präzedenzfalls McIntyre Estate, dass Dritten die Finanzierung von Prozessen erlaubt sei, ohne dabei mit den Doktrinen in Konflikt zu geraten. Mehrere Entscheidungen in den zehn Jahren nach McIntyre Estate gipfelten in Houle v. St. Jude Medical Inc. 2017 ONSC 5129, in der die Houles als verfahrensführende Kläger einer beantragten Produkthaftungssammelklage auftraten. Sie waren weder finanziell in der Lage, die Kosten für die Durchführung der Sammelklage zu tragen, noch waren sie (oder ihre Anwälte) bereit, womöglich sogar die Kosten der Gegenseite übernehmen zu müssen. Sie schlossen daher eine Finanzierungsvereinbarung mit Omni Bridgeway ab (damals Bentham IMF) und beantragten die Genehmigung dieser Vereinbarung beim Ontario Superior Court.

In seiner teilweisen Unterstützung der Prozessfinanzierung erkannte das Gericht an:

"Das Recht in Ontario ... hat sich so entwickelt, dass die Unterstützung eines fremden Rechtsstreits nicht kategorisch illegal ist und somit Erfolgshonorare und die Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten durch Dritte eine Möglichkeit geworden sind. Der Wandel liegt in der Erkenntnis, dass die finanzielle Unterstützung eines Drittfinanzierers das einzige Mittel für einen Verfahrensbeteiligten sein kann, um Zugang zum Recht zu erhalten."

Das Gericht wies auch darauf hin, dass die Finanzierung einer Sammelklage abhängig vom jeweiligen Fall genehmigt werden müsse. Ob die Finanzierungsvereinbarung verwerflich im Sinne der Doktrin sei, hänge davon ab, ob sie eine "faire und angemessene Vereinbarung ist, die den Zugang zur Justiz erleichtert und gleichzeitig die Interessen der Beklagten schützt." Zu berücksichtigen sei außerdem, ob die Finanzierungsvereinbarung die Grundsätze der Unabhängigkeit des Anwalts gefährde und ob die Vertraulichkeitsvereinbarungen zwischen den Parteien eingehalten werde.vi

Mit der Zulassung der Prozessfinanzierung bei Sammelklagen folgte bald auch die Nachfrage nach Finanzierung in kommerziellen Einzelklagen. Kläger suchten Hilfe, um die hohen Kosten und das mit der Klageerhebung verbundene Risiko zu mindern. In Entscheidungen des Federal Court of Canada und des Ontario Superior Court zur Nutzung von Prozessfinanzierung in dieser Art von Fällen wurde u.a. festgestellt, dass 

  • Prozessfinanzierung nicht per se rechtswidrig ist,
  • die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts auch für bestimmte Aspekte der Finanzierungsvereinbarung gilt (Seedlings Life Sciences Ventures LLC v. Pfizer Canada Inc, unreported Order of July 17, 2017, Court File No. T-608-17),
  • Finanzierungsvereinbarungen zwar im Rahmen von Sammelklagen einer Genehmigung bedürfen, außerhalb von Sammelklagen jedoch keine solche Genehmigung für einfache kommerzielle Angelegenheiten erforderlich ist (Seedlings Life Sciences Ventures LLC v. Pfizer Canada Inc., 2017 FC 826; siehe auch Schenk v. Valeant, 2015 ONSC 3215).

Vor kurzem hat der Supreme Court of Canada in der Rechtssache 9354-9186 Québec Inc. gegen Callidus Capital Corp. 2020 SCC 10 (allgemein als "Bluberi" bezeichnet) die Entscheidung eines Insolvenzgerichts bestätigt, die eine Finanzierungsvereinbarung von Omni Bridgeway (damals Bentham IMF) als eine Form der Zwischenfinanzierung für ein insolventes Unternehmen genehmigte. Darin erkannte das Gericht an, dass die Prozessfinanzierung Klägern eine lukrative Einnahmequelle eröffnen kann, mit der sich Werte wiederherstellen lassen. Dank dieser Bestätigung durch das höchste kanadischen Gerichts wird es für Kläger mit Liquiditätsengpässen einfacher, ihre Ansprüche mithilfe von Prozessfinanzierung durchzusetzen.

* Für einen Überblick über die frühere Anwendung der "doctrines of maintenance and champerty", wie sie für Drittfinanzierungsverträge in Kanada galten, klicken Sie hier. Eine Zusammenstellung relevanter kanadischer Entscheidungen zur Prozessfinanzierung, einschließlich des aktuellen Case Law, finden Sie hier.

Internationale Schiedsverfahren

Nach der wachsenden Verbreitung der Prozessfinanzierung in zahlreichen Ländern überraschte es nicht, dass die internationale Schiedsgerichtsbarkeit der Entwicklung bald folgen würde. Der Einsatz von Finanzierungen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hat in vielen Regionen zugenommen, darunter England, die USA, Kontinentaleuropa, Singapur und Hongkong.

Im August 2014 setzten das International Council for Commercial Arbitration (ICCA) und die Queen Mary University of London eine gemeinsame Taskforce zur Prozessfinanzierung ein. Ziel war es, einheitliche Regeln und Verfahren in Bezug auf die Finanzierung von internationalen Schiedsverfahren zu schaffen. Im April 2018 veröffentlichte die Taskforce ihren Abschlussbericht während des ICCA-Kongresses in Sydney. Der Bericht befasste sich mit den wichtigsten Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Prozessfinanzierung ergeben. Er kommentierte detailliert unter anderem Aspekte wie Offenlegung, Interessenkonflikte, Kosten sowie Kostensicherheit.

Im Oktober 2014 wurden die Richtlinien der International Bar Association zu Interessenkonflikten überarbeitet und um eine Bestimmung ergänzt, wonach Finanzierer und Versicherer faktisch einer Partei eines Schiedsverfahrens gleichgestellt werden.

Um gegenüber anderen Ländern wettbewerbsfähig zu bleiben, haben Singapur und Hongkong - beides Schlüsselstaaten für Schiedsgerichtsverfahren in Asien - in den letzten Jahren Gesetze verabschiedet, die die Nutzung der Prozessfinanzierung erleichtern.

Anfang 2017 schuf Singapur per Gesetz die „doctrines of maintenance and champerty" ab und beseitigte damit ein bedeutendes Hindernis für die Finanzierung von Handelsstreitigkeiten. Fortan wurde die Finanzierung von internationalen Schiedsverfahren in Singapur durch Dritte ausdrücklich begrüßt.vii Durchsetzbar sind allerdings nur solche Vereinbarungen, die mit einem "qualifizierten Drittfinanzierer" („qualifying third-party funder“) abgeschlossen werden, der alle vorgeschriebenen Bestimmungen einhält. viii Unter diesen Umständen ist die Finanzierung sowohl von internationalen Schiedsverfahren als auch von damit verbundenen Gerichts- und Mediationsverfahren (einschließlich Vollstreckungsverfahren) zulässig.ix Die Kapitalausstattung des Geldgebers muss außerdem bestimmte Anforderungen erfüllen.

Im Anschluss an Empfehlungen der Law Reform Commission aus dem Jahr 2016 hat Hongkong im Jahr 2017 eine ähnliche Gesetzgebung wie Singapur in Bezug auf die Finanzierung von Schiedsverfahren und damit verbundenen Verfahren erlassen.x Die Straftatbestände und Delikte der „doctrines of maintenance and champerty" wurden in Hongkong jedoch nicht abgeschafft. Das neue Gesetz trat im Februar 2019 in Kraft. Zugleich wurde ein Verhaltenskodex erlassen, der Leitlinien für Schiedsverfahren in Hongkong und Dienste bietet, die aus Hongkong für andere Schiedsverfahren erbracht werden. 

Omni Bridgeway war einer der ersten Finanzierer, der internationale Schiedsverfahren sowohl in Singapur als auch in Hongkong unter der neuen Gesetzgebung der jeweiligen Länder finanzierte.

Viele Gerichte auf der ganzen Welt haben anerkannt, dass die „doctrines of maintenance and champerty" veraltet und in der heutigen Gesellschaft nicht mehr relevant sind. Da der Zugang zur Justiz immer kostspieliger wird, würdigen die Gerichte die Prozessfinanzierung als Mittel, um die hohen Kosten und Risiken eines Verfahrens zu mindern. Die Entlastung von diesem finanziellen Druck stärkt die Gleichheit vor dem Gesetz, da so allein die Rechtslage zwischen den Parteien über den Prozess entscheidet – nicht die Finanzkraft einer Partei.

 

 


i “Litigation Funders: Champions or Champertous?” Omni Bridgeway, 1. Dezember 2017 https://omnibridgeway.com/insights/blog/blog-posts/global/2017/11/30/litigation-funding-champions-or-champerty
ii Zum Beispiel der Maintenance, Champerty and Barratry Abolition Act 1993 (NSW) Abschnitte 3, 4.
iii Der CSLA wurde später geändert durch den Access to Justice Act 1999 und den Legal Aid and Sentencing and Punishment of Offenders Act 2012.
iv Andrew Evans & Nicholas Thompsell, “Funding Litigation – the good, the bad and the ugly.” 28.07.2016. https://www.fieldfisher.com/en/insights/funding-litigation-the-good-the-bad-and-the-ugly
v Reinout Philips, “The Third Party Litigation Funding Law Review - Edition 3: NETHERLANDS.” Dezember 2019. https://thelawreviews.co.uk/edition/the-third-party-litigation-funding-law-review-edition-3/1212057/netherlands
vi Hugh A Meighen, The Third Party Litigation Funding Law Review - Edition 2, Kanada, Dezember 2018.
vii Civil Law (Amendment) Act 2017 (CLAA 2017) and Civil Law Act (Cap 43), Abschnitte 5A and 5B und verwandte Regulierungen.
viii Civil Law (Third-Party Funding) Regulations 2017.
ix Ibid, section 3.
x Arbitration and Mediation Legislation (Third Party Funding) (Amendment) Ordinance 2017.