Inkasso-Sammelklagen zulässig – ein Freibrief für die gebündelte Geltendmachung von (finanzierten) Massenansprüchen?

Inkasso-Sammelklagen zulässig – ein Freibrief für die gebündelte Geltendmachung von (finanzierten) Massenansprüchen?
Author:
Anna-Maria Quinke
Investment Manager, Senior Legal Counsel - Germany

Der Bundesgerichtshof hat mit – zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in den Entscheidungsgründen vorliegenden –  Urteil vom 13. Juli 2021 (Az. II ZR 84/20) entschieden, dass Abtretungen an einen Inkassodienstleister rechtswirksam sind und kein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz („RDG“) vorliegt. In dem zugrunde liegenden Fall machte ein registrierter Inkassodienstleister gegenüber dem früheren Air Berlin-Geschäftsführer abgetretene Ansprüche von Fluggästen gerichtlich geltend. Den Fluggästen sollten keine Kosten entstehen, die Klägerin solle stattdessen im Erfolgsfall 35 Prozent der Nettoerlöse aus den gerichtlich geltend gemachten Forderungen erhalten. 

Damit klärt der Bundesgerichtshof ein – zuletzt auf dem deutschen Rechtsmarkt – viel diskutiertes Thema: Ist es ein Verstoß gegen das RDG, wenn ein Inkassodienstleister ausschließlich oder vorrangig auf die gerichtliche Einziehung der Ansprüche abzielt? 
Dies verneint der Bundesgerichtshof und hält die Bündelung von einer Vielzahl von Ansprüchen zum Zwecke der gerichtlichen Verfolgung für zulässig. Auch liegt kein Interessenkonflikt gemäß § 4 RDG vor. 

Dies sahen die Instanzengerichte in Deutschland bisher anders. So hatte erstmals das Landgericht München I mit Urteil vom 7. Februar 2020 (Az. 37 O 18934/17) die Abtretung von Schadensersatzansprüchen wegen des LKW-Kartells an den Rechtsdienstleister Financial Right  als nicht mit dem RDG vereinbar angesehen. In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein auf die IT-basierte Durchsetzung von Massenschadensfällen spezialisiertes Rechtsdienstleistungsunternehmen gebündelte Ansprüche von mehr als 3.000 LKW-Spediteuren gerichtlich geltend gemacht. Die Vertragspflichten des auch als Special Purpose Vehicle bezeichneten Rechtsdienstleistungsunternehmens seien keine Inkassodienstleistung im Sinne des RDG, weil sie von vornherein ausschließlich auf eine gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche gerichtet seien. Auch bestünde ein nach dem RDG verbotener Interessenkonflikt  – sowohl im Verhältnis des Rechtsdienstleisters zu den jeweiligen Zedenten als auch im Verhältnis des Rechtsdienstleisters zu dem Prozessfinanzierer. Das Geschäftsmodell von Legal Tech-Unternehmen, nämlich massenhaft finanzierte Schadensersatzansprüche gebündelt gerichtlich geltend zu machen, stand seit dem Urteil somit auf „wackeligen“ Füßen. Der Auffassung des Landgerichts München schlossen sich nämlich weitere Instanzgerichte, so u.a. die Landgerichte Ingolstadt und Augsburg  im Dieselgate-Verfahren, an. 

Das Urteil des Bundesgerichtshofs hat somit über den zugrunde liegenden Fall hinaus erhebliche Bedeutung für die kollektive Rechtsdurchsetzung in Deutschland, die seit dem Urteil des Landgerichts München I erheblich eingeschränkt war. . Hiervon betroffen waren nicht nur die Interessen zahlreicher Verbraucher, die ihre Rechte mittels eines Legal Tech-Unternehmens kosten- und risikofrei einklagen wollten, sondern auch die dieses Geschäftsmodell betreibenden Legal Techs. Aber auch Unternehmen, die gemeinsam mit anderen Geschädigten gebündelt Schadensersatzansprüche durchsetzen wollten, waren von der zurückhaltenden Spruchpraxis deutscher Gerichte gegenüber dieser Art der Sammelklage-ähnlichen Geltendmachung betroffen. So mussten durch das Zucker-Kartell geschädigte Unternehmen eine Schlappe vor dem Landgericht Hannover hinnehmen, das die Abtretung ihrer Ansprüche an die CDC in Luxemburg wegen Verstoßes gegen das RDG für unwirksam hielt (Urteil vom 1. Februar 2021 – 18 O 34/17). Nach Auffassung des Landgerichts Hannovers verstieße sogar die Abtretung konzern-interner Schadensersatzansprüche zum Zwecke der gebündelten gerichtlichen Durchsetzung gegen das RDG (Urteil vom 4. Mai 2020 – 18 O 50/16). Verbraucher und Unternehmer hatten somit bis zuletzt erhebliche Schwierigkeiten, in Deutschland massenhafte und unter Umständen von einem Prozessfinanzierer finanzierte Ansprüche gemeinschaftlich durchzusetzen.

Der Bundesgerichtshof stärkt mit dem Urteil somit nicht nur die kollektive Rechtsdurchsetzung in Deutschland, sondern auch das Geschäftsmodell der Prozessfinanzierung. Die Gefahr der Unwirksamkeit der Abtretung mangels Interessenkonflikte ist zwar nicht per se gebannt, weil abzuwarten bleibt, wie die Instanzgerichte die jeweiligen Geschäftsmodelle im Einzelfall bewerten werden. Für die Stärkung des Rechtsstandortes Deutschland ist die Eröffnung von mehr Spielräumen bei Inkasso-Sammelklagen aber mit Blick auf effektivere Kollektivrechtsschutzmöglichkeiten in anderen Europäischen Mitgliedstaaten mehr als fällig gewesen. Es wäre also zu begrüßen, wenn die deutschen Gerichte zukünftig der gebündelten Geltendmachung von (finanzierten) Massenansprüchen offener gegenüberstünden